“Ich” und nicht “Wir”

Die Überschrift mag etwas unkonventionell erscheinen. Es heißt doch in unserer Gesellschaft immer, man solle das “Wir” eher vor das “Ich” stellen, oder nicht ? Ich stimme diesem Ansatz in sozialgesellschaftlichen Dingen auch zu, in Beziehungsfragen allerdings, sieht das Ganze dann doch etwas anders aus.

Grundstein einer funktionierenden Beziehung

Wenn es um Beziehungen geht, so ist es erstmal komplett egal, von welcher Art Beziehung wir sprechen. Sei es eine Mensch-Mensch, oder auch eine Mensch-Hund Beziehung. Sein Gegenüber auf Augenhöhe zu betrachten, ist der Grundstein für jede Art von Gemeinschaft. Dem Gegenüber eine freie Meinung und auch freie Entscheidungen zu gewähren und es demjenigen auch zuzutrauen, eigene Entscheidungen treffen zu können, ist ebenfalls entscheidend. Genau hierbei scheitert es aber so oft. Bei menschlichen Partnerschaften steht oftmals gar nicht so sehr das Problem der Augenhöhe an erster Stelle, sondern vielmehr die Individualität des Anderen zu akzeptieren. Bei unseren Hunden allerdings scheitert es an beiden Fronten ungemein. Wir unterschätzen das Individuum und sehen unsere Tiere als nicht entscheidungsfähig und auch als abhängig. Wir behandeln sie nicht als Gleichgestellte und glauben, sie bräuchten unsere Entscheidungskraft. Das tun wir gar nicht aus böser Absicht heraus. Wir lieben unsere Tiere abgöttisch und unterscheiden auch oftmals gar nicht zwischen der Liebe zu Familienangehörigen oder zu unseren Hunden. Allerdings ist es gerade auch die übermannende Fürsorge, die uns dazu bringt immer mehr Kontrolle auszuüben, um das Tier quasi vor sich selbst und seinen schlechten/gefährlichen Entscheidungen zu beschützen.

“Wir” - Gedanke

Was also genau meine ich mit dem “Wir”-Gedanken ? Damit meine ich, dass man gar keinen Raum mehr für Individualität lässt, und unbewusst jemand anderem unseren Willen aufzwingt. Es heißt plötzlich “Wir gehen jetzt Gassi”, “Wir gehen jetzt schlafen” oder “Wir essen jetzt etwas”. Das mag etwas kleinlich erscheinen, aber wenn man genau hinsieht lässt sich daran erkennen, dass man seinem Gegenüber eine Entscheidungsfreiheit direkt abnimmt. Natürlich hat man nur Gutes im Sinn. Es ist ja für den Hund, dass man Gassi geht und die Hunde freuen sich ja auch darüber - ganz klar. Aber in diesem Moment übernehmen wir dennoch die Kontrolle und bestimmen etwas, ohne dem Anderen auch einen Gegenmeinung zu ermöglichen. Man kann das Experiment ganz einfach an sich selbst durchführen und einmal sehen wie oft man “Wir” anstelle von “Ich” benutzt und es dann direkt anders formulieren. Es ändert nichts an der Sache selbst, aber das andere Individuum kann sich dennoch selbst entscheiden, ob es sich anschließt oder auch nicht.

Wahre Führungsqualitäten

In einer funktionierenden Partnerschaft schließt man sich gerne aneinander an und passt sich auch an, genauso wie sich der Hund im besten Fall seinem Besitzer anschließt. Aber dafür muss man erstmal Raum schaffen und auch zu der Person werden, der man sich gerne und vorallem freiwillig anschließen möchte. In meinen anderen Artikeln habe ich schon mehrmals das Thema des Ausbruchs aus der Kontrolle angesprochen, was wir gemeinhin als Fehlverhalten des anderen deuten. Das ist nämlich das Resultat, dass wir dem Anderen keine freie Entscheidung zulassen. Das konnte ich mittlerweile, besonders durch mein Training mit dem “Stopkonzept” erkennen und erlernen.

Ich werde ein Beispiel aus meinem tagtäglichen Zusammenleben mit meiner Lucy anführen, für ein besseres Verständnis:

Abends vor dem Zubettgehen habe ich früher, bevor ich ins Schlafzimmer umgesiedelt bin Lucy aufgefordert dort auch hineinzugehen, sodass ich alles ausmachen und auch die Tür schließen konnte. Ich habe die Aufforderung folgendermaßen formuliert: “ Komm Lucy, Wir gehen jetzt schlafen! “. Heute sage ich, wenn die Zeit gekommen ist: “ Ich gehe jetzt schlafen Lucy”, zeige damit meine Absicht an und ziehe mich dann ins Schlafzimmer zurück. Das ist meine Routine und Lucy hat gesehen, dass ich damit mein Verhalten quasi ankündige. Dies hat allerdings keinen Einfluss darauf, wie sie sich zu verhalten hat. Sie kann dann entscheiden mir nachzufolgen, weil sie gerne bei mir schläft, oder auch nicht. Natürlich folgt sie mir mittlerweile direkt auf diese Worte hin ins Schlafzimmer, aber es steckt kein Kommando/Zwang dahinter. Ein kleiner aber sehr eindrücklicher Unterschied, für den unsere Partner sehr sehr dankbar sind.

Ich hoffe ich konnte Euch damit einen neuen Denkanstoß geben und wünsche euch noch einen herrlichen Restsonntag mit euren Liebsten !

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Bärbel - ein geborener Zentralhund

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Vom Pessimist zum “Worst Case” Denker (Stopkonzept)